Freitag, 25. Januar 2019

TRANSPARENT [von 2015]






Tobias Rüthers im Januar 2014 in der FAS geäußerter Wunsch nach einer  guten Familienserie wurde 2013 erfüllt.TRANSPARENT ist wahrscheinlich die beste Familienserie, die das Fernsehen momentan zu bieten hat. Rüthers Beschwörung von SIX FEET UNDER, als Meilenstein des Genres entsprechend ist TRANSPARENT eine Kreation von Jill Soloway, die selbst auch für SIX FEET UNDERS schrieb und die Zeit mit Alan Ball als ihr Collegeerlebnis bezeichnet
TRANSPARENT beginnt mit "Mort"/Maura Pfeffermans Entscheidung mit Anfang 70 endlich den Bedürfnissen zu folgen, die sie schon ein Leben lang in sich spürt: Als Frau zu leben. Diesen Schritt zum eigenen Selbst zu gehen bedeutet, dass Mort/Maura ihren drei erwachsenen Kindern, die, wie sie, in LA leben, und später auch ihrer geschiedenen Frau, erzählen wird wer sie in Wirklichkeit ist. Gleich zu Beginn der Serie wird deutlich, wie viele Masken und Schutzwälle zwischen Menschen stehen können, die sich am Längsten und Intensivsten kennen.

Und so erzählt die Serie parallel zu Mauras Selbstwerdung von den Selbstfindungsprozessen aller Familienmitglieder und von einem Leben im ewigen Fluss, vom verirrten Suchen, vom Altern, vom Luxus und Fluch des sich um sich selbst Drehns, vom Loslassen und vom Sterben. 
Alle Pfeffermans kämpfen auf die ein oder andere Weise mit dem Akzeptieren und Finden ihrer eigenen Wahrheiten. Und häufig scheint es so, als ob Maura, ähnlich wie ihre Ex-Frau, als Einzige weiß, wer sie ist und sein will. Nur die Gesellschaft und sich seit langer Zeit pervertierte normierte und sich in viele Teilen unserer Gehirne festgesetzte Ansichten kommen mit diesem gelebten Sein nicht klar. Es ist eines der zentralen Paradoxa unserer Existenz: Die gewaltige Sehnsucht und Ahnung einer Freiheit jenseits von Schubladen und die gleichzeitige geistige Notwendigkeit des Trennens, Unterscheidens und Ordnens. 

Der große Kniff der Serie ist die Leichtigkeit, mit der Jill Soloway die Tonalität von TRANSPARENT zum Schwingen bringt. Unter anderem liegt das an der relativen Kürze des 30-Minuten-Formats.
Aber auch an Soloway & Cos gekonnt pointierter Erzählweise, die einerseits ökonomisch (und voller Humor) ist, andererseits in dieser Ökonomie auch Raum für die Tiefe der Figuren und deren intimsten Perspektiven lässt. Letztere führt hin und wieder zur Abkehr von gewohnten Erzählweisen, insbesondere wenn es um Ali (Gaby Hoffmann), die Jüngste der drei Geschwister geht. Das konsequente Verfolgen ihrer Perspektive führt mitunter zu wunderbaren Innenansichten, die auch helfen, den verhüllten Ichs der Pfeffermans, ihren verborgenen Ängsten und Sehnsüchten näher zu kommen.

Die strikte Innenperspektive ist bei einer Serie über unsere intimsten Geheimnisse ja absolut notwendig. Und gerade die kleinen ästhetischen und strukturellen Freiheiten, die dabei entstehen katapultieren TRANSPARENT nochmal in ganz besondere Kategorien des Serienfernsehens. Ohne jedoch die anziehende Wärme und Leichtigkeit fallen zu lassen, die das verrückte und größtenteils sehr privilegierte Familiengespann ausstrahlt. 

In dieser Kombination liegt eine der entscheidenden handwerklichen Herausforderungen für das serielle Erzählen, das in der Sprache dieses Textes oder in den Grenzen dieses Landes stattfindet. Sich die Freiheit zu nehmen einzelnen Figuren zu folgen fällt vielen AutorInnen bei uns augenscheinlich ziemlich leicht. Aber Leichtigkeit als beinahe schon humanistische ästhetische Idee zu entdecken und zu akzeptieren, die den Zuschauer in ein fremdes Weltbild und eine ihm ferne Erfahrung eng einbindet, wäre einfach ein weiterer wichtiger und schöner Schritt.

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