Freitag, 25. Januar 2019

EIN KOMMISSAR, DER AUF DROHNEN STARRT oder DIE SEHNSUCHT NACH DEM AUSSERGEWÖHNLICHEN

[Dieser Text wurde ursprünglich zwischen 2014 und 2016 auf einer anderen Plattform veröffentlicht.]
David Duchovny in THE X-FILES (20 Jahre altes US Network-Fernsehen)
Wotan Wilke Möhring im Tatort

FALSCHE TRAUER UND ECHTE BEDROHUNGEN IM JÜNGSTEN TATORT MIT WOTAN WILKE MÖRING.

Wir hatten ebenfalls  unsere Probleme mit "Kaltstart", dem Wotan Wilke Möring-Tatort der vergangenen Tatortsaison. Dieser Tatort liegt nun schon lange zurück. Er blieb uns im Gedächtnis. Trotz der offensichtlichen Schwächen und Problemen in Figurenzeichnung und Tonalität: Die Zeitlupenaufnahmen eines trauernden Kommissars mögen galant in melancholische Popmusik getaucht gewesen sein. Da wir Falkes Ex-Freundin, die zu Beginn des Films ermordert wird, nie kennen lernen, fehlt jegliche Grundlage, die Trauer oder den Liebesschmerz, der hier verdeutlicht werden soll, mitzufühlen.


 Im Gegenteil: Die Einstellungen sind leer und wirken geradezu lächerlich. Interessanterweise war jedoch der Fall in seiner Konzeption relativ interessant. Die Art und Weise, in der die unbekannten Bösewichte und Drahtzieher der Polizei, mit Hilfe von Drohnen, ständig um Einiges voraus waren, war spannend, wirkte inspiriert und sorgte für Falkes schönste und intensivste Szene am Ende dieses Tatorts. Hilflos und ausgeliefert starrte der Kommissar in obigem Screenshot eingefangen, dem unbekannten Flugobjekt und Gegner entgegen. Wir waren regelrecht begeistert und definitiv zum ersten Mal von diesem sonst so hilflos charakterisierten Milch trinkenden Kommissar gefesselt. Überwältigt und niedergeschlagen schien er im Krankenwagen das volle Ausmaß der soeben durchlebten Situation zu begreifen. THAT'S OUR MAN!!
Dieser Moment zeigte uns zwei Dinge:  Zunächst, dass überzeugende Charaktermomente, in Symbiose mit dramaturgisch überzeugenden Szenen entstehen können, nicht jedoch in einem krampfhaften Versuch einer Figur Trauer, Schmerz zuzuschreiben ohne diese Emotion nachvollziehbar zu machen oder sinnvoll in die Geschichte zu integrieren. 
Eigentlich bringt uns diese Szene, die dichte Atmosphäre und geradezu episch entfesselte Bildsprache nämlich auf einen ganz anderen Gedanken: AKTE X! Ihr denkt euch vielleicht, was dieser Vergleich mit einer mehr als zwanzig Jahre alten US-Serie soll. Aber genau das ist es. AKTE X ist durchaus alt. Jede, die sich die Serie jedoch heute nochmal anschaut wird feststellen, wie wunderbar und qualitativ hochwertig die Serie heute noch rüberkommt. 
Warum ich diesen Bogen überhaupt schlage? Im deutschen Fernsehen mag Platz für eine Milliarde Krimis sein. Seltsamerweise darf kein einziger davon die Genregrenzen in die Bereiche des Fantastischen und Übernatürlichen überschreiten. Auch in diesem Moment des Tatorts geht es vielleicht um ein UFO im weitesten Sinne aber selbstverständlich nicht um Aliens. Und daher liegt die Frage nahe, was um Himmels Willen uns einfällt von den letzten Bildern eines Tatorts auf ähnliche Bilder einer amerikanischen Mysteryserie zu schließen...

DIE SEHNSUCHT NACH DEM AUSSERGEWÖHNLICHEN 
Filme funktionieren über Bilder und die Emotionen und Gedanken, die in ihnen mitschwingen. Und so mag das Bild des nach oben starrenden Kommissars mag nichts von Aliens erzählen. Aber es spricht, wie Akte-X, von dem Kampf des im Unwissen gehaltenen Einzelnen gegen das konspirativ-verschlungene übermächtige System.

Er verweist auf einen FBI-Agenten, dessen Grundeigenschaft der Don Quixote-artige Kampf gegen ein verschwörerisches System darstellt. Und er verweist, auf die seriellen Erzählformen, in denen Fox Mulder und viele weitere Figuren erst ihre Magie und ihren Bann entwickeln konnten. Dieser Moment erinnert an die Erhabenheit und Tonalitäten, die im deutschen Fernsehen kategorisch ausgeschlossen werden. Diese Szene weckte in uns die Ahnung dessen, was möglich wäre und sein könnte.

In der Forderung nach einer größeren Vielfalt an Genres geht es einerseits um die  Gefühle und Reaktionen, die hier in besonderer Weise möglich sind. Es geht jedoch auch um Sehnsüchte nach den Dingen, die hinter diesen Symbolen stehen. Archetypen, die keinen Trends unterliegen, wie so mancher Fernsehmacher sich selbst weismachen mag, sondern grundsätzlichen menschlichen Emotionen und Lebensphasen entsprechen. Das bedeutet auch, dass ein Publikum, wenn es an die Entrücktheiten mancher Genres herangeführt werden kann, mit diesen Geschichten immer sympathisieren wird. 
FORMEN FÜR GESCHICHTEN, EMOTIONEN UND WAHRHEITEN FINDEN - NICHT DIE MÖGLICHKEITEN DER UNTERHALTUNG DURCH BEGRENZUNG DER FORMATE EINSCHRÄNKEN.
Eine Freiheit in der Wahl der Genres bedeutet darüber hinaus eine Freiheit der Vorstellungskraft auf Seiten der Autoren, Filme- und Fernsehmacher und Produzenten. Eine Freiheit für  Ideen, Figuren und Geschichten die passenden Formen zu finden, anstelle, wie es zur Zeit der Fall ist, alle Geschichten in ein Format zu pressen (zur Zeit: Kriminalfall), das den kollektiv vorstellbaren Banalitäten genüge tut. 
Ein Beispiel, in Fortführung unseres Akte-X-Bezugs: Luft und Glasfaserkabel sind zur Zeit voll von Geschichten des absolut gerechtfertigten Misstrauens in die Regierung und Wirtschaft, des politischen Machtmissbrauchs, der mangelnden Transparenz, der eingeforderten Transparenz etc.. NSA, NSU, Bankenkrise, Mollath, etc... Als Akte-X zu Beginn der 90er startete war es nicht nur eine Serie, die inspiriert von Genre-Arbeiten wie "Kolchak, Twin Peaks oder Twilight Story", krampfhaft Menschen in Plastikprothesen ins Fernsehen bringen wollte. Die Serie griff vielmehr das sich nach Ende des kalten Krieges verbreitende Misstrauen der US-Amerikaner gegenüber der Regierung auf. Akte-X ist ein gutes Beispiel dafür, wie auf endlos faszinierende Weise, eben solche Zustände aufgegriffen werden und ohne aufklärerischen Hintergedanken und nur aufs Erzählerische konzentriert, in einen unterhaltsamen Kontext gesetzt werden(,der zudem nicht negative Tendenzen und Verhaltensweisen von Zuschauern verstärkt sondern vielmehr Dinge wie Neugierde, selbstständiges Denken, etc. idealisiert).

Was ist Joss Whedons "BUFFY THE VAMPIRE SLAYER" anderes, als die perfekteste und wahrste Erzählung über das Erwachsen werden, die das Fernsehen bisher gesehen hat? All das mit Hilfe von Genre-Stücken, die die Wahrheiten dieser Lebensphasen beispiellos verdichten. 
Zu dumm, dass all das bei uns nicht möglich ist. Dass wir auf die Geschichten, die relevant und wahr sind und uns gleichzeitig transportieren, fesseln und verzaubern könnten, verzichten müssen, weil ihre Erzählweisen kategorisch ausgeschlossen werden. Wo sind die mutigen Köpfe und Herzen in verantwortlichen Positionen, die endlich einer neuen Vielfalt von Erzählungen ihre Plätze einräumen? Die Erzähltraditionen, die in der deutschen Sprache übrigens lange Zeit ihren festen Platz hatten als Chance zu entdecken. Stattdessen hängt die Fiktion so sehr im Faktischen und Banalen fest, dass es uns inzwischen mitunter sogar anwidert.

Wo sind die Unterhalter, die an die Kraft und Glaubwürdigkeit des weit abgelegen Horizonts, in dem sich unsere Wirklichkeit manchmal verzerrt, manchmal klarer denn je spiegelt, glauben? Wo die Fernsehmacher, die die Geister E.T.A. Hofmanns, Fritz Langs und Michael Endes* beschwören und mit dem (zum Glück und absolut gerechtfertigten) über-politisierten und nicht zuletzt demokratisierenden Geist des Nachkriegsfernsehens versöhnen? 




Was uns in Dominik Grafs "Es werde Stadt" bewusst wurde war der Ursprung unseres Fernsehens als ein grundsätzlich ernstes und politisierendes System, das vor allem die Aufgabe hatte durch Information, Journalismus und Bildung eine Gesellschaft mitzuformen, in der der Faschismus nicht mehr die Überhand gewinnen konnte. Zum Glück sind die Ausläufer dieser Vorsätze immer noch in unseren Programmen zu finden. In Form von hervorragenden Reportagen und Dokumentationen und mitunter auch den Fiktionalisierungen brenzliger gesellschaftlicher Situationen.

Aber die Kluft zwischen diesen Formaten und solchen, die wie die Geister einer vergangenen Zeit oder eines multinationalen Firmenkonglomerats die Programmleisten bestücken ist groß. Das Fernsehen ist rein äußerlich mit dem globalen Unterhaltungsmarkt mit gewachsen. Die Bandbreite und Qualität serieller Unterhaltung größtenteils stehen geblieben. Nachdem man viel zu spät einsieht, dass man mal was anderes senden sollte als Krimis wendet man sich wieder den Arzt- und Krankenhaus-Procedurals zu (DR KLEIN etc. im ZDF). Aber was gibt es darüber hinaus? Welche Geschichten über unsere tiefen Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen wären möglich. Oder fangen wir doch mal ausnahmweise nicht dort an (auch wenn wir uns wünschen, dass jeder Autor und Redakteur das theoretisch tun würde) sondern bei den Reaktionen des Zuschauers.

Welche offenen Münder, aufgerissenen Augen und unterhaltenden Zuschauerherzen wären möglich, wenn Protagonisten ab und zu mal in den Himmel starren dürften um dort etwas Unfassbares und Geheimnisvolles zu erblicken. Man sollte denken, dass auch die Zuschauer über 50 durch die tägliche Fernsehleichendosis auf Abgründe vorbereitet wären. Und man sollte denken, dass die deutschsprachigen Besucher, die sich millionenfach abgedrehter Massenunterhaltung wie GUARDIANS OF THE GALAXY  zuwenden oder GAME OF THRONES herunter laden mehr als bereit sind für Lichter im Himmel, Latexmasken, Makeup und das Außergewöhnliche im Allgemeinen.                          









*Tatsächlich beschleicht uns beim Betrachten der Fernsehlandschaft das Gefühl dem Ausbreiten des Nichts in Phantasien zuzusehen. 

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