Freitag, 25. Januar 2019

MANN/FRAU ist eine der besten deutschen Serien

[Dieser Text entstand zwischen 2013 und 2016 und wurde von mir ursprünglich auf einer anderen Plattform veröffentlicht.]

Viele positive Nachrichten hinsichtlich der Zukunft deutschsprachigen Serienfernsehens zeichnen sich ab. Dabei ist der konkreteste Vorbote der qualitativen Evolution nur einen Klick entfernt: "MANN/FRAU". Die Serie des Geschwisterpaars Jana und Johann Buchholz (produziert von Christian Ulmen und dem Bayerischen Rundfunk) verkörpert vielleicht nicht das "Premium-Fernsehen", das häufig in Artikeln und Rants heraufbeschworen und etwas oberflächlich skizziert wird: Teuer, kinoartige Bilder, oberflächliche "ich-auch"-Forderungen. Aber genau darin liegt die Relevanz dieser wunderbaren und erstklassigen Serie. MANN/FRAU zeigt nämlich hervorragend aus was Fernsehen und serielles Erzählen wirklich gemacht sein kann und sollte. Abseits der oberflächlichen Forderungen und Beweihräucherungen.
"Ja, aber "Mann/Frau" ist doch 'ne Webserie?!! Wie soll es dann gerade für das Fernsehen beispielhaft sein?" "Mann/Frau" ist eine Webserie. Richtig. Die Sache ist die: Serie, das ist nicht nur die teure, von einem Meister des Kinos visualisierte Premiumproduktion. Serien kommen in ganz unterschiedlichen Formen und Formaten daher. Und all diese Formen und Formate, ja sogar 25-Folgen-Staffeln, wie im Network-Fernsehen der 90er (und teilweise heute auch noch praktiziert), können (auf dem gebogenen Rücken der Cast- und Crewmitglieder) zu erzählerischen und unterhalterischen Hochtouren auflaufen. Der Schlüssel ist nur das richtige Format für eben die Geschichte zu finden, die man erzählen möchte. 

Und was es bedeutet in genau diesem Format der Webserie zu erzählen und zu unterhalten versteht MANN/FRAU hervorragend. Damit hat es vielen anderen in Deutschland produzierten Serien, ganz egal ob sie im Internet oder Fernsehen zu sehen sind (Mann/Frau ist übrigens auch im Fernsehen zu sehen), schonmal Einiges, wenn nicht sogar alles voraus. Dazu gehören beispielsweise auch konzeptionelle Grundsätze, wie die Tatsache, dass ein Action- und Outdoor-orientiertes Format, in dem es, sagen wir um die deutsche Küstenwache geht, ein entsprechendes Budget besitzen muss um dieses Konzept glaubwürdig umsetzen zu können. Oder es geht darum die Regeln eines Genres, wie beispielsweise einer Krankenhausserie zu kennen und ästhetisch klug umzusetzen. Aber wir kommen vom eigentlichen Thema ab. Wie genau äußert sich dieses "das eigene Format verstehen" denn bei "Mann/Frau"? 
Die einzelnen Episoden von "Mann/Frau" sind zwischen 3 und 4 Minuten lang, fühlen sich aber an wie 1-minüter. Abwechselnd schildern die Folgen die inneren Monologe einer Frau (Lore Richter) und eines Mannes (Mirko Lang), die beide um die 30 sind. Die inneren Monologe begründen eine weitesgehend auf Cutaway-gags, visuell dargestellte Assoziationen, Erinnerungen und Gedankengänge, aufbauende Dramaturgie. Die gute Balance zwischen Realismus, Wiedererkennungseffekt und Humor sorgen dafür, dass die kurzen Gags und inneren Monologe erzählerisch einschlagen wie 'ne Bombe. Die detailierte und aufwändige filmische Umsetzung verwandelt die wunderbaren Texte und Gedanken dann in nicht nur kurzweilige sondern auch ästhetisch herausstechende Sequenzen. Wichtig ist: Die visuelle Detailiertheit und Verspieltheit wird den quirligen Texten absolut gerecht. (Amüsanter Gedanke: die im positiven Sinne stylishste deutsche Serie seit "Berlin, Berlin" ist auch die mit dem geringsten Budget und der kleinsten Erzählfläche.)
Durch all diese kompetenten und handwerklich gewieften Entscheidungen wird somit eines der größten Laster im deutschen seriellen Erzählen umschifft: LANGEWEILE. 
Auch die oberflächlicheren Formatierungsaspekte haben Hand und Fuß. Das Intro mit seinen biographisch hintereinander geschnittenen Portraitaufnahmen der Protagonisten und dem Zulaufen auf die Kamera, sowie die grandiose Titelmusik von OK KID sind allererste Sahne und vermitteln die perfekte Mischung von verheißungsvoller Spannung, Pathos und verleihen dem Format sogar eine gewisse Epik. Müssen wir erwähnen, dass Intros zu den vielen Dingen gehören, die das deutsche Fernsehen (abgesehen von wenigen Ausnahmen) ebenfalls absolut nicht gebacken bekommt ? Wie interessant ist es, dass ein 4-Minuten-Webformat den Besten Serienvorspann seit Jahrzehnten liefert? 

Dass dieser Aspekt der Serie richtig sitzt gehört zu dem überzeugenden Gesamteindruck, diesem Gefühl, dass hier handwerklich mit Bedacht und Kenntnis der Materie vorgegangen wurde. Dazu gehören auch solche Acessoires, wie zum Beispiel, dass jede Folge mit einem kleinen Teaser eröffnet wird und einem lustigen halb in die fiktionale Welt und die vierte Wand durchbrechenden integrierten Hinweis auf die nächste Episode endet. Die einzelnen Episoden mögen kurz sein. Ihre Struktur ist, wenn auch im Kleinen und obwohl keine linearen Geschichten im üblichen Sinne erzählt werden, elaboriert und diszipliniert. Wobei wir letztere Aussage bezüglich des Storytellings nicht so stehen lassen können. Eine weitere positive Überraschung, die sich erst im Laufe der 20 Folgen einstellt ist nämlich, dass es einen größeren, über situative Dramaturgie hinaus gehenden Erzählstrang gibt, der alle Folgen verbindet. 
Zu den Hunderten von Dingen, die uns in anderen deutschen Serienproduktionen Kopfschmerzen bereiten, hier jedoch glänzen gehört ebenso das wunderbare Casting. Lore Richter und Mirko Lang brillieren als Frau und Mann. Im seriellen Erzählen ist die Bindung zwischen Figuren und Zuschauern essentiell. Bei "Mann/Frau" entsteht diese Bindung zum einen durch die wunderbaren Texte, in denen Figuren mit Fehlern und Schwächen geschaffen werden.  Zum anderen ist da die Ausstrahlung Richters und Langs, die liebenswert und fehlerhaft zugleich sein kann. Wie schön und selten ist es deutschsprachigen Schauspielern im Fernsehen einfach mal gerne zuzuhören oder -zu sehen?  Spätestens in der dritten Folge waren wir bereit Richter und Lang, Mann und Frau überall hin zu folgen.
Nicht zuletzt liegt das auch daran, dass die Figuren erfrischend ehrlich angelegt sind und auf üblichen Bullshit, der Charaktere -leider nur rein oberflächlich und äußerlich- "interessant" machen könnte verzichtet wird. Hier findet sich nichts Anbiederndes oder auf Cool Getrimmtes. Vielmehr wird die Komplexität der Figuren in ihren lebendigen Gedankengängen entwickelt. Bravo! 
Ziehen wir ein kurzes Resümee: Es mag sich um ein besonderes Format handeln aber "Mann/Frau" meistert all das ausgezeichnet, was häufig im deutschen Fernsehen nicht funktioniert. Vor allem erschafft die Serie Geschichten, Situationen und Figuren, die uns nahe gehen und in denen wir uns wiederfinden können. Gerade aufgrund der implizierten Banalität wird das "Sich-Wiederfinden", so vermuten wir, wohl seltener erwähnt, wenn es um Fernsehen geht. Auch nicht in den Artikeln, die das deutsche "Breaking Bad" oder sogar "Six Feet Under" fordern. Eigentlich, da sind wir uns sicher, steht diese Sehnsucht jedoch hinter jedem einzelner dieser Texte. Denn das "Sich-Wiederfinden" ist ein essentieller Bestandteil des Serienfernsehens und Geschichtenerzählens überhaupt. Es ist einer der Gründe, weshalb ein diversifiziertes serielles Erzählen mit neuem Unterhaltungsanspruch im deutschen Fernsehen so nötig und überfällig ist. Und es ist ein Grund dafür, warum "Mann/Frau" als solch ein wertvolles Wunder daherkommt. Die Serie vermag es einen Sog zu kreieren, dem wir uns nicht entziehen können. 
Letzteres glückt übrigens auch noch durch eine weitere grandiose Entscheidung: Anstelle so gut wie alle Folgen auf einmal heraus zu hauen (*hust*LERCHENBERG*hust) ehrt ausgerechnet dieses Online-Format die Macht der Pause und des Wartens auf die nächsten Folgen, die in 2er oder 3er-Päckchen veröffentlicht wurden. Das bedeutet auch, dass zur Zeit 18 von 20 Folgen veröffentlicht wurden und die letzten beiden Episoden am 31. Oktober, also bereits morgen heraus kommen. Wir sind entzückt. 

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Eine der ersten Assoziationen, die "Mann/Frau" in uns hervorrief war übrigens "SPACED!".

SPACED (1999-2001, Hauptfigur - siehe oben) ist eine Sitcom aus Großbritannien, die gleichzeitig die Geburtsstunde der Zusammenarbeit Edgar Wrights, Simon Peggs und Nick Frosts darstellte, die später gemeinsam (in) SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ und AT WORLD'S END (auftreten) produzieren würden. SPACED kommt uns jedesmal in den Sinn, wenn eine ahnungslose Person, die Fernsehen macht, etwas von zu niedrigen Budgets erzählt. Oder wenn jemand vom "deutschen BREAKING BAD" spricht. (Abgesehen davon, dass wir BREAKING BAD lieben fragen wir uns, warum nicht anstelle von BREAKING BAD mal SPACED genannt wird oder die perfekte low-Budget-Vorlage PARTY DOWN, oder die eigentlich-als-Vorbild-jeglicher-Familien-orientierten-Vorabendserie-zu-geltenden GILMORE GIRLS.)

SPACED zeigt, dass mit einem Ausnahmetalent, wie Edgar Wright und fähigen Comedians Erzählern, wie Simon Pegg und Jessica Hynes eine großartige Serie produziert werden kann, die sogar ästhetisch Maßstäbe setzt ohne jedoch besonders teuer zu sein. (Wright berichtet von den dadurch auch verursachten Anstrengungen der Serie in seinem Interview mit Marc Maron.) Was SPACED und "Mann/Frau" neben Qualität, Inhalten und Ästhetik verbindet ist nicht zuletzt der Freiraum, der von Channel 4 bzw. von Seiten des BRs gegeben wurde.

Das aller Wichtigste, was "Mann/Frau" zeigt ist, dass Talente, Erzähler und Künstler da sind, die gutes Fernsehen machen können. Man kann unserem Lieblingssender dem BR, den Geschwistern Buchholz und allen, die an diesem Meilenstein mitgewirkt haben hierfür nur danken und sie beglückwünschen. Wir hoffen, dass sie mit Angeboten überhäuft werden und dass noch viele weitere "Mann/Frau"-ähnliche Köstlichkeiten entstehen werden. <3 alles="" auf="" beeindruckt="" beh="" dass="" die="" dieses="" einfach="" entstehen="" erfahrungen="" erlebnisse="" font="" ganz="" geteilt="" hnliche="" ist="" jetzt="" k="" nbsp="" nnen.="" noch="" nschen="" projekts="" reflektiert="" sind="" so="" tet="" und="" uns="" w="" was="" werden="" wir="" zumindest="" zuschauerinnenseite="">

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