Freitag, 9. März 2012

Leg das Tambourin weg

 Thomas Gottschalk Anfang des Jahres über "Gottschalk Live"
"Es gibt im Fernsehen nichts mehr zu erfinden. Ich habe natürlich mir das bruchstückhaft zusammengesucht. Ich sehe in Amerika – und das hat mir schon gefallen – mehr Menschen, die leben im Fernsehen. Menschen, die sich erregen, teilweise unsinnig, wenn ich diesen unsympathischen O ́Reilly sehe, der da jeden Abend vor sich hinschimpft. 

Aber dann sehe ich eine Colbert, dann sehe ich einen Stewart, das sind alles Leute, die mit einer inneren Erregung zur Sache gehen. Das sind keine nüchternen Kommentatoren. Mich nervt es bei uns, dass einfach mit so einer Ernsthaftigkeit – das ist ja kein wirklicher Ernst, es ist eine gezwungene, offensichtlich dem Thema angemessene Ernsthaftigkeit - und von diesen Themen, die Ernsthaftigkeit benötigen, halte ich mich fern." 

Auch wenn man auf Anhieb denkt, man habe sich verlesen oder verhört. Thomas Gottschalk verglich sich in der PK seiner neuen Show tatsächlich mit Stephen Colbert.  Schon rein faktisch und logisch ein ziemlich behämmertes Unterfangen. Jon Stewarts und Stephen Colberts Sendung sind rein formattechnisch aus anderen Hölzern geschnitzt. Abgesehen davon, dass beide Shows natürlich komplett durchgescripted sind (etwas wogegen sich Gottschalk ja ständig wehrt), kommt Stewart aus der Stand-Up und Colbert aus der Impro-Theater Szene. Thomas Gottschalk ist ein hin und wieder schlagfertiger Moderator. Stephen Colbert spielt eine neo-konservative Figur namens Stephen Colbert. Seine gesamte Sendung besteht mit der Ausnahme von geschickt gewählten Pathos-Einlagen aus Ironie und Satire.Woher zum Teufel kommt dieser Vergleich überhaupt?

Ich glaube folgende Ausschnitte verdeutlichen die zwischen Gottschalk und Colbert liegenden Universen:

Stephen Colbert:






Thomas Gottschalk hat einige Stärken. Die Mitwirkung an Musiknummern gehört nicht dazu:



ROFL. Manchmal hilft es sich darüber im Klaren zu sein, was man kann.

Was Thomas Gottschalk mit "innerer Erregung" beschreibt ist, ist meiner Meinung nach übrigens ein tatsächlich existentieller Aspekt in der Unterhaltungsmoderation. Ich würde "innere Erregung" einfach mal mit Spielfreude übersetzen.
Wenn man bemerkt, dass der Moderator explodieren könnte (man beachte den Irrealis) vor Freude, bleibt einem eigentlich nichts anderes übrig als selbst auch Glückshormone zu produzieren. Colbert ist darin wirklich König. Aber auch hierzulande gibt es doch viele Beispiele für Menschen, deren Freude und (sehr wichtig, weil es Eckhard von Hirschhausen ausschließt) Souveränität vor der Kamera auch auf unsere Seiten der Bildschirme überstrahlt: Ina Müller, Götz Alsmann, Jan Böhmermann ... und, was mir in letzter Zeit wirklich überraschend aufgefallen ist: Harald fucking Schmidt. Schmidt geht gut ab in letzter Zeit. Ich empfehle mal reinzugucken.





Und zur von Gottschalk angesprochenen Nüchternheit: Was "Gottschalk live" zur Zeit ausmacht und ausstrahlt ist vor allem Beliebigkeit und Gleichgültigkeit. Beispiel: "Wir müssen heute unbedingt über das Wetter reden." Tatsächlich ist es ja eher beruhigend, dass niemand (außer ich, augenscheinlich) sich so eine Scheiße angucken möchte. Auf der anderen Seite prägt diese Beliebigkeit, die entsteht, weil man keinen potentiellen Zuschauer abschrecken möchte,  beinahe das gesamte Programm von ARD und ZDF. Man sieht sie überall wo Langeweile aufkommt, in jeder Szene einer neuen Krimiserie, die vorhersehbar ist, jeder von Jörg Pilawa moderierten Show, die vor Breite und "nicht-Anecken-wollen" so viel Banalität produziert, dass "Lenßen und Partner" dagegen originell aussieht.

An dieser Stelle wird der öffentlich-rechtliche Auftrag völlig ad absurdum geführt. Eigentlich soll dieser ja Alternativen zu den Angeboten der Privaten bieten. Diese sichern und legitimieren ihre Existenz durch Werbung und "eyeballs". (Wie fragwürdig die Logik hinter der Platzierung und Wertung von Fernsehwerbung ist wird übrigens hier sehr spannend dargestellt.) Es müssen, nach der fragwürdigen Logik möglichst viele Menschen einschalten. Bei den öffentlich-rechtlichen rechtfertigt man sich zunehmend mit der Aussage, man muss den Gebühren zahlenden Zuschauern, also allen, irgendetwas bieten.

(Abgesehen davon wird im Innern der Sender ja sowieso ziemlich unentschuldigt auf Quoten gestarrt und neidisch auf Erfolgsprogramme der Privaten geschaut, die man selber hätte produzieren können, aber das sei mal beiseite gestellt.) Will man allen (die vielleicht auch gar nicht zugucken, sehr viel weiß man nämlich über die FernsehzuschauerIn anscheinend nicht) irgendetwas bieten und niemanden verschrecken, kann man aber keine Geschichten erzählen, keine Unterhaltung schaffen. Dafür benötigt man nämlich eine Stimme, eine Haltung. Dafür muss man nämlich in erster Linie mal etwas zu sagen haben. Wen das interessiert, dass es durchaus unterhaltsam sein sollte, aber nicht anbiedernd sein muss ist die zweite Aufgabe.

Ein gutes Beispiel für das hierzulande verbreitete Missverständnis von der "Breite" eines Formats sind für mich insbesondere amerikanische Sitcoms oder Multi-Camera Shows. Selbst die langweiligsten Multi-Camera-Shows, wie Tim Allens diesjähriger Comeback-Versuch "Last Man Standing" oder der Underground-Erfolg "Two and a half Man", sind in ihrer auf den allerkleinsten gemeinsamen Zuschauer-Nenner feingestimmten furchtbaren Art, subversiver und hinterhältiger als jeder vergleichbare deutsche Versuch etwas witziges "für alle" zu produzieren. Denn  bei amerikanischen Popkulturproduzenten ist schon längst durchgesickert, dass die das System refleckierende Ironie Teil des Systems geworden ist. Man könnte auch sagen: Intelligent Pointiertes und angeblich Dekonstruierendes wird so verpackt, dass es auch von Zuschauern, die nicht über große Interpretationsmöglichkeiten und -kontexte verfügen geschluckt und geil gefunden wird. Oder: Das Intelligente wird Teil des Blöden.

Irgendwie ist es ziemlich denkwürdig und spricht nicht für die Kompetenzen und den Willen unserer Medienschaffenden, dass das hierzulande niemand so bemerkt und umsetzt.


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