Freitag, 25. Januar 2019

THE X-FILES [von 2015]




"One of the reasons why The X-Files (1993) started to leave me cold was that after five years, I just started yelling at Scully, you're an idiot. It's a monster! And I couldn't take it anymore. 
I need people to grow, I need them to change, I need them to learn and explore, you know, and die and do all of the things that people do in real life. And so [on Buffy (1997)] we were very, very strict about making sure that things track, that they're presented in the right way. Because, ultimately; and this is one of the things that I did find out after we had aired, the soap opera, the characters, the interaction between them is really what people respond to more than anything else. And although we came out of it as a sort of monster-of-the-week format, it was clear that the interaction was the thing that people were latching onto. So we were happy to sort of go with that and really play it up and really see where these characters were going to go." 

Joss Whedon, zu Gast bei Fresh Air/NPR im November 2002  [x]



Um so spannender finden wir es darüber nachzudenken, was 'Akte X' dennoch zu einer Serie macht, der man 5 Staffeln (und länger) obsessiv verfällt. 



Mulder und Scully lassen uns selbst jetzt noch wie einen konditionierten Golden Retriever zur Serie zurückkehren, die wir erst vor wenigen Monaten mehr oder weniger komplett (das Ende dieser Serie ist diskutabel und von Verdrängung geprägt) geschaut haben. 

Zwei Protagonisten werden zur Schicksalsgemeinschaft: die Skeptikerin und der Gläubige. Trotz unterschiedlichsten Haltungen tragen beide Figuren ihre Positionen auf einem wissenschaftlichen Fundament aus (zu Beginn der Show ist dieser Umstand jedenfalls noch sehr bewundernswert, zumal auch vor langen Dialogen über biologisch-chemisch-physikalisch-medizinische (sci-fi-) Details nicht zurück geschreckt wird). 

Was uns insbesondere in den Anfangsfolgen blitzartig traf war der grundsätzliche Respekt, auf dem Mulders und Scullys Beziehung basiert und an den sich alle tiefen verheißungsvollen Blicke anschließen. Ein Pärchen mit unterschiedlichem Background ist im Serienfernsehen in den meisten Fällen gleichbedeutend mit einer Screwball-Dynamik. Reibung im Fall Mulders und Scullys funktioniert jedoch weniger konfektioniert und umwerfenderweise auf intellektueller Ebene. Das liegt auch an einer Erzählweise, die sich zwar an die von Werbepausen eines Networks Anfang der Neunziger diktierte Struktur fügen muss, sich allerdings für heutige Verhältnisse (insbesondere im Krimibereich) relativ viel Zeit für Gesten, Blicke und Dialoge lässt, die man von größeren Leinwänden gewohnt ist und sich so weit wie möglich vom Rhythmus eines procedurals entfernt.


Kurz gesagt: Nicht jeder Moment zwischen Scully und Mulder wird in seiner Demonstration der unterschiedlichen Sichtweisen komödiantisch ausgereizt. 

Klar, da sind die rollenden Augen Scullys, ihre widerspenstigen Seitenhiebe, ihre grundsätzliche Anzweiflung aller verrückten und realen Dinge, die Mulder vorschlägt und schlussfolgert. Aber diese Auseinandersetzungen sind meistens schockierend sachlicher Natur und oft enden sie insbesondere in den Anfangsfolgen in wissenschaftlichen (jedenfalls das, was im Universum der Serie als wissenschaftlich gilt) Auseinandersetzungen, in denen Scully entschlossen alles Wissen und alle Logik gegen Mulders Besessenheit und Kühnheit aufbringt. 

Chris Carter traute es seinem Publikum zu solche wortlastigen und durchaus komplizierten Szenen auszuhalten und dank Duchovny und Anderson vielleicht sogar zu lieben. Worin wir uns wohl alle, die wir Akte-X gesehen haben verlieben ist das Sichtbar werden dieses Respekts und der Wertschätzung beider Figuren trotz ihrer Gegensätze. Im Verlauf der Serie wird aus dem Respekt eine Art Symbiose und eine gegenseitige Inspiration und Bedingung. Und das ist vielleicht (neben der absurd erscheinenden platonischen Ebene der Beiden in den längsten Strecken der Serie) das Romantischste an Mulder und Scully.
 
Gleichzeitig sind wir aber auch einer Meinung mit Joss Whedon. Weil wir Geschichten mit Konsequenzen für Figuren einfach ultimativ kühner und grandioser finden. Und weil es schön gewesen wäre zu sehen wohin sich insbesondere Scully aber in anderer Form auch Mulder entwickeln könnte. Stattdessen stand die Serie vor der Herausforderung alle kleinen möglichen Brüche der Figuren auszuloten, die ihr Leben und ihre Überzeugungen nicht grundsätzlich verändern würden. 

Was uns an Akte X' Entwicklungsstörung und der davon teilweise ungebremsten Ausstrahlung der Serie jedoch fasziniert ist letztlich wie unterschiedlich serielles Erzählen sein kann und auf welchen unterschiedlichen Wegen es funktioniert und Besitz von unseren Köpfen und Herzen ergreift. Und darin steckt die vielleicht größte Inspiration und Lehre, die uns Akte X hinterlässt. 

Davon abgesehen, sollten wir nicht unerwähnt lassen, dass der sog. "Mytharc" (lolz) der Show, wie die Episoden, die die Mythologie um die Existenz von Außerirdischen auf der Erde und die Rolle, die die amerikanischen Regierung in diesem Szenario spielt fortspinnen genannt werden, ein Meilenstein des wöchentlichen horizontalen seriellen Erzählens im Fernsehen war. Akte X besteht hauptsächlich aus zwei Arten von Episoden, den allein stehenden "Monster of the week"-Folgen und solchen, die die größere Mythologie der Show weiter erzählten. Dass diese Serie ein solches erzählerisches Wagnis einging und als eine der ersten Shows Staffel-umspannende Arcs erzählte und gleichzeitig zu einer der erfolgreichsten Serien aller Zeiten avancierte kann man nicht häufig genug erwähnen. Vor allem weil Serien wie diese in Artikeln über "Quality-TV" häufig gar nicht erst erwähnt werden. Dass gerade der (oder die) Schöpfer/Showrunner des viel gefeierten BREAKING BADs in dieser Produktion laufen lernte(n) macht diesen Zustand in der "Kritik" um so absurder. 

ROMANTISCHER POLITISCHER IDEALISMUS in THE WEST WING

"There's a new book and we're going to write it. You can win if you run a smart disciplined campaign. If you studiously say nothing. Nothing that causes you trouble. Nothing that's a gaffe. Nothing that shows you might think the wrong thing. Nothing that shows you think. But it just isn't worthy of us, is it Toby?" (Martin Sheen als Jed Bartlet in THE WEST WING)


Sorkinscher romantischer politischer Idealismus der 90er und 00er. Eine erfrischende Wohltat. Manchmal sogar ein Gedicht. 
Die ersten beiden Staffeln von THE WEST WING sind überwältigend. Sie überwältigen im Sinne eines perfekt getimeten Dialogs, der am Ende einer Szene über den Moment und die oberflächliche Thematik hinaus auf etwas Größeres verweist. Wenn beispielsweise Charlie, der gerade überraschend zum persönlichen Assistenten des Präsidenten aufgestiegen ist, am Rande der Fernsehansprache desselben sagt: „I've never felt this way before“. Und Josh Lyman, einer der Staffer erwidert: „It doesn't go away“. Mit diesen kühnen Pinselstrichen vermag Aaron Sorkin unsere Herzen höher und für etwas schlagen zu lassen...

Das Größere, Idealistische, auf das sich das Team aus Redenschreibern, Kommunikationsexperten, Pressesprechern, Beratern und des Präsidenten selbst, hin und wieder besinnt ist, was THE WEST WING so verführerisch und aus gegenwärtiger von Antihelden geprägten Perspektiv, so wertvoll macht. Sich in Momenten größter Herausforderung für das Gute und Richtige und gleichzeitig für den beschwerlicheren Weg („then we'll do what's hard“) zu entscheiden lässt die Figuren der Serie zu Charakteren werden, die man liebt und sich gerne zum Vorbild nehmen möchte. Das und die ihnen von Sorkin eingeflößte phänomenal leichtfüßige und unfassbar geniale Art zu reden.

BROADCAST NEWS




BROADCAST NEWS ist die romantische Komödie, die wir uns so häufig erträumen, aber nur in den seltensten Fällen und unter Einfluss der eigenwilligsten Autoren und Filmemachern die Fließbänder der US-Filmindustrie verlässt. Wann sahen wir zuletzt ein Filmpärchen, das in uns solche inneren Anfeuerungsrufe entfachte, wie Holly Hunters und Albert Brooks Reporterkollegen und BFFs Jane und Aaron. An Holly Hunters Figur wird leider auch deutlich wie selten Protagonistinnen in romantischen Komödien von mehr definiert und ausgefüllt werden als der Suche nach Liebe und dem richtigen Partner. 

Der Film landete, für uns eigentlich überraschend direkt mit dem ersten Sehen auf unserer Liste der besten Filme übers Fernsehen (NETWORK, THE INSIDER, etc..). BROADCAST NEWS ist von Anfang bis klugem und denkwürdigem Ende meisterhaft, und möglicherweise auch der beste Wurf von James L Brooks überhaupt. Im Ende, das zunächst überraschend und ernüchternd erscheint, zeigt sich dann auch nochmal genau, was den Film so hervorragend macht: Die Konsequenz, mit der Brooks den Eigenarten der Figuren und tiefen Lebenswahrheiten folgt, die Klischees des romcom-Genres übertrifft und in uns tatsächlich bekannten und vielleicht sogar persönlichen Wirklichkeiten landet. 

Als würde keiner unserer Texte ohne Verweise auf THE WEST WING auskommen: BROADCAST NEWS ('87) erinnert uns in der Eloquenz der Figuren und der verführerische unterhaltsamen Lust, Intelligenz und Ästhetik mit der die Arbeitswelt einer Nachrichtenredaktion dargestellt wird ganz klar an den Sorkinschen Intellectual Workplace Porn der späten 90er (SPORTS NIGHT ('98), THE WEST WING ('99)). 

BUNHEADS

[Dieser Text erschien zwischen 2013 und 2016 an einem anderen Ort im Netz.]





Amy Sherman-Palladinos leider bereits gecancelte Serie BUNHEADS wurde kürzlich zum ersten Mal in Deutschland unter dem Namen NEW IN PARADISE im Disney-Channel ausgestrahlt.
Zu Beginn mag einem das Setting nur all zu bekannt vorkommen. "Paradise" ist so etwas wie die Westküstenversion von Stars Hollow, der Stadt, in der Luke, Rory, Lane, Lorelay, Kirk, Sookie und viele andere seltsame nette Menschen aus Palladinos Serienhit GILMORE GIRLS beheimatet waren. Auch zurück ist jedoch Palladinos umwerfende Fähigkeit Räume zu schaffen, in denen uns selbst Alltagstragödien mit einem Hoffnungsschimmer hinterlassen. Palladino ist die Königin der klugen Leichtigkeit. Falls sie sich jemals entschlossen hätte eine Serie über den Stab des amerikanischen Präsidenten zu schreiben, wäre sie womöglich auch zum Liebling diverser Feuilletonisten aufgestiegen. Ebenso wertvoll wie Aaron Sorkins Idealisierung und Romantisierung der Politik und des Intellekts ist jedoch Palladinos Zelebrieren der Schönheit des Alltags. Auch wenn das eigentlich etwas zu kurz gegriffen ist. GILMORE GIRLS bietet schließlich, gemeinsam mit SIX FEET UNDER, die mit Abstand beste und wahrste Porträtierung von Mutter-Tochter-Konflikten des Serienfernsehens. BUNHEADS wiederum greift zwar eine Art surrogate-mother Beziehung, in der Verbindung der Tänzerin Michelle und der Mutter ihres Ex-Mannes und Tanzstudiobesitzerin Fanny Flowers (Kelly Bishop!) auf, die in eine Art Schicksalsgemeinschaft hinein stolpern. Und Michelle selbst wird zu einer Art Mentorin und Mutterfigur ihrer Ballettschülerinnen. Es geht in BUNHEADS jedoch eigentilch um ganz andere Dinge. Eine Tänzerin im mittleren Alter (Sutton Foster als Michelle Sims), die sich in  Frances-Ha-artiger Spannung zwischen Lebenswirklichkeit und Verwirklichungsträumen befindet. Und Michelles Schülerinnen, die zwischen den Herausforderungen ihrer eigenen Familien und erster Liebe, hin und her driften. 
Was die Serie von der typischen im Sportbereich angesiedelten Teenagerserie unterscheidet, ist die erfrischende Leichtigkeit der Rolle, die das Balletttanzen als entsprechenden Sport/Kunst der Wahl einnimmt. DIe meisten Sportserien portraitieren heranwachsende ambitionierte professionelle TurnerInnen oder TänzerInnen. Auch in der deutschen Miniserie  ANNA ging es um den Traum eines Mädchens professionelle Tänzerin zu werden. Die auf KIKA ausgestrahlte australische Serie DANCE ACADEMY ist ein weiteres Beispiel einer Serie, die diese Geschichte ziemlich gut erzählt.

In BUNHEADS spielen zwar auch die tänzerischen Ambitionen Boos, Melanies, Sashas und Ginnys eine Rolle, aber in erster Linie geht es um das Leben an sich, von dem das Balletttanzen einen elementaren Teil darstellt. In Fannys und Michelles Studio finden die Mädels einen Zufluchtsort und eine Ersatzfamilie. Darüber hinaus wird jedoch der Wert des Balletts als künstlerische Ausdrucksform deutlich. Palladino verdeutlicht und integriert diese Dimension des Tanzens auf geniale Weise, in dem sie immer wieder kleine Choreographien in die Episoden einbindet. Desöfteren handelt es sich um Stücke, die die inneren Kämpfe der Figuren in solch einer Klarheit und Poesie ausdrücken, dass man sich wünscht jede Serie würde das Innenleben ihrer Hauptfiguren in kleinen Tanzeinlagen darstellen. 
Was uns an dieser Erzählweise wirklich begeistert, ist, dass das Tanzen hier zur Abwechslung genau die Rolle übernimmt, die Hobbys in der Kindheit vieler Menschen tatsächlich übernehmen. Sie bieten uns die Möglichkeit uns auszuprobieren, zu lernen, nicht unbedingt weil wir die besten Fußball-, Tennis-, HandballspielerInnen oder Balletttänzerinnen der Welt werden wollen, sondern weil wir in diesen Augenblicken eine unvergleichbare Freude daran haben. 

Helmut Dietl


BYE BYE, COLBERT REPORT!

[Dieser Text entstand -Überraschung!- anlässlich des Endes des Colbert Reports und war ursprünglich an einem anderen Onlineort zu sehn.]
Colbert Report, fare thee well… (die folgenden Zeilen sind von vielleicht sogar grenzwertigem Lob und positiver Huldigung durchzogen. …Deal with it!)
Wir könnten endlos in fabulös unterhaltsamen COLBERT REPORT Momenten schwelgen, denn diese Show...

MANN/FRAU ist eine der besten deutschen Serien

[Dieser Text entstand zwischen 2013 und 2016 und wurde von mir ursprünglich auf einer anderen Plattform veröffentlicht.]

Viele positive Nachrichten hinsichtlich der Zukunft deutschsprachigen Serienfernsehens zeichnen sich ab. Dabei ist der konkreteste Vorbote der qualitativen Evolution nur einen Klick entfernt: "MANN/FRAU". Die Serie des Geschwisterpaars Jana und Johann Buchholz (produziert von Christian Ulmen und dem Bayerischen Rundfunk) verkörpert vielleicht nicht das "Premium-Fernsehen", das häufig in Artikeln und Rants heraufbeschworen und etwas oberflächlich skizziert wird: Teuer, kinoartige Bilder, oberflächliche "ich-auch"-Forderungen. Aber genau darin liegt die Relevanz dieser wunderbaren und erstklassigen Serie. MANN/FRAU zeigt nämlich hervorragend aus was Fernsehen und serielles Erzählen wirklich gemacht sein kann und sollte. Abseits der oberflächlichen Forderungen und Beweihräucherungen.
"Ja, aber "Mann/Frau" ist doch 'ne Webserie?!! Wie soll es dann gerade für das Fernsehen beispielhaft sein?" "Mann/Frau" ist eine Webserie. Richtig. Die Sache ist die: Serie, das ist nicht nur die teure, von einem Meister des Kinos visualisierte Premiumproduktion. Serien kommen in ganz unterschiedlichen Formen und Formaten daher. Und all diese Formen und Formate, ja sogar 25-Folgen-Staffeln, wie im Network-Fernsehen der 90er (und teilweise heute auch noch praktiziert), können (auf dem gebogenen Rücken der Cast- und Crewmitglieder) zu erzählerischen und unterhalterischen Hochtouren auflaufen. Der Schlüssel ist nur das richtige Format für eben die Geschichte zu finden, die man erzählen möchte. 

Und was es bedeutet in genau diesem Format der Webserie zu erzählen und zu unterhalten versteht MANN/FRAU hervorragend. Damit hat es vielen anderen in Deutschland produzierten Serien, ganz egal ob sie im Internet oder Fernsehen zu sehen sind (Mann/Frau ist übrigens auch im Fernsehen zu sehen), schonmal Einiges, wenn nicht sogar alles voraus. Dazu gehören beispielsweise auch konzeptionelle Grundsätze, wie die Tatsache, dass ein Action- und Outdoor-orientiertes Format, in dem es, sagen wir um die deutsche Küstenwache geht, ein entsprechendes Budget besitzen muss um dieses Konzept glaubwürdig umsetzen zu können. Oder es geht darum die Regeln eines Genres, wie beispielsweise einer Krankenhausserie zu kennen und ästhetisch klug umzusetzen. Aber wir kommen vom eigentlichen Thema ab. Wie genau äußert sich dieses "das eigene Format verstehen" denn bei "Mann/Frau"? 
Die einzelnen Episoden von "Mann/Frau" sind zwischen 3 und 4 Minuten lang, fühlen sich aber an wie 1-minüter. Abwechselnd schildern die Folgen die inneren Monologe einer Frau (Lore Richter) und eines Mannes (Mirko Lang), die beide um die 30 sind. Die inneren Monologe begründen eine weitesgehend auf Cutaway-gags, visuell dargestellte Assoziationen, Erinnerungen und Gedankengänge, aufbauende Dramaturgie. Die gute Balance zwischen Realismus, Wiedererkennungseffekt und Humor sorgen dafür, dass die kurzen Gags und inneren Monologe erzählerisch einschlagen wie 'ne Bombe. Die detailierte und aufwändige filmische Umsetzung verwandelt die wunderbaren Texte und Gedanken dann in nicht nur kurzweilige sondern auch ästhetisch herausstechende Sequenzen. Wichtig ist: Die visuelle Detailiertheit und Verspieltheit wird den quirligen Texten absolut gerecht. (Amüsanter Gedanke: die im positiven Sinne stylishste deutsche Serie seit "Berlin, Berlin" ist auch die mit dem geringsten Budget und der kleinsten Erzählfläche.)
Durch all diese kompetenten und handwerklich gewieften Entscheidungen wird somit eines der größten Laster im deutschen seriellen Erzählen umschifft: LANGEWEILE. 
Auch die oberflächlicheren Formatierungsaspekte haben Hand und Fuß. Das Intro mit seinen biographisch hintereinander geschnittenen Portraitaufnahmen der Protagonisten und dem Zulaufen auf die Kamera, sowie die grandiose Titelmusik von OK KID sind allererste Sahne und vermitteln die perfekte Mischung von verheißungsvoller Spannung, Pathos und verleihen dem Format sogar eine gewisse Epik. Müssen wir erwähnen, dass Intros zu den vielen Dingen gehören, die das deutsche Fernsehen (abgesehen von wenigen Ausnahmen) ebenfalls absolut nicht gebacken bekommt ? Wie interessant ist es, dass ein 4-Minuten-Webformat den Besten Serienvorspann seit Jahrzehnten liefert? 

Dass dieser Aspekt der Serie richtig sitzt gehört zu dem überzeugenden Gesamteindruck, diesem Gefühl, dass hier handwerklich mit Bedacht und Kenntnis der Materie vorgegangen wurde. Dazu gehören auch solche Acessoires, wie zum Beispiel, dass jede Folge mit einem kleinen Teaser eröffnet wird und einem lustigen halb in die fiktionale Welt und die vierte Wand durchbrechenden integrierten Hinweis auf die nächste Episode endet. Die einzelnen Episoden mögen kurz sein. Ihre Struktur ist, wenn auch im Kleinen und obwohl keine linearen Geschichten im üblichen Sinne erzählt werden, elaboriert und diszipliniert. Wobei wir letztere Aussage bezüglich des Storytellings nicht so stehen lassen können. Eine weitere positive Überraschung, die sich erst im Laufe der 20 Folgen einstellt ist nämlich, dass es einen größeren, über situative Dramaturgie hinaus gehenden Erzählstrang gibt, der alle Folgen verbindet. 
Zu den Hunderten von Dingen, die uns in anderen deutschen Serienproduktionen Kopfschmerzen bereiten, hier jedoch glänzen gehört ebenso das wunderbare Casting. Lore Richter und Mirko Lang brillieren als Frau und Mann. Im seriellen Erzählen ist die Bindung zwischen Figuren und Zuschauern essentiell. Bei "Mann/Frau" entsteht diese Bindung zum einen durch die wunderbaren Texte, in denen Figuren mit Fehlern und Schwächen geschaffen werden.  Zum anderen ist da die Ausstrahlung Richters und Langs, die liebenswert und fehlerhaft zugleich sein kann. Wie schön und selten ist es deutschsprachigen Schauspielern im Fernsehen einfach mal gerne zuzuhören oder -zu sehen?  Spätestens in der dritten Folge waren wir bereit Richter und Lang, Mann und Frau überall hin zu folgen.
Nicht zuletzt liegt das auch daran, dass die Figuren erfrischend ehrlich angelegt sind und auf üblichen Bullshit, der Charaktere -leider nur rein oberflächlich und äußerlich- "interessant" machen könnte verzichtet wird. Hier findet sich nichts Anbiederndes oder auf Cool Getrimmtes. Vielmehr wird die Komplexität der Figuren in ihren lebendigen Gedankengängen entwickelt. Bravo! 
Ziehen wir ein kurzes Resümee: Es mag sich um ein besonderes Format handeln aber "Mann/Frau" meistert all das ausgezeichnet, was häufig im deutschen Fernsehen nicht funktioniert. Vor allem erschafft die Serie Geschichten, Situationen und Figuren, die uns nahe gehen und in denen wir uns wiederfinden können. Gerade aufgrund der implizierten Banalität wird das "Sich-Wiederfinden", so vermuten wir, wohl seltener erwähnt, wenn es um Fernsehen geht. Auch nicht in den Artikeln, die das deutsche "Breaking Bad" oder sogar "Six Feet Under" fordern. Eigentlich, da sind wir uns sicher, steht diese Sehnsucht jedoch hinter jedem einzelner dieser Texte. Denn das "Sich-Wiederfinden" ist ein essentieller Bestandteil des Serienfernsehens und Geschichtenerzählens überhaupt. Es ist einer der Gründe, weshalb ein diversifiziertes serielles Erzählen mit neuem Unterhaltungsanspruch im deutschen Fernsehen so nötig und überfällig ist. Und es ist ein Grund dafür, warum "Mann/Frau" als solch ein wertvolles Wunder daherkommt. Die Serie vermag es einen Sog zu kreieren, dem wir uns nicht entziehen können. 
Letzteres glückt übrigens auch noch durch eine weitere grandiose Entscheidung: Anstelle so gut wie alle Folgen auf einmal heraus zu hauen (*hust*LERCHENBERG*hust) ehrt ausgerechnet dieses Online-Format die Macht der Pause und des Wartens auf die nächsten Folgen, die in 2er oder 3er-Päckchen veröffentlicht wurden. Das bedeutet auch, dass zur Zeit 18 von 20 Folgen veröffentlicht wurden und die letzten beiden Episoden am 31. Oktober, also bereits morgen heraus kommen. Wir sind entzückt. 

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Eine der ersten Assoziationen, die "Mann/Frau" in uns hervorrief war übrigens "SPACED!".

SPACED (1999-2001, Hauptfigur - siehe oben) ist eine Sitcom aus Großbritannien, die gleichzeitig die Geburtsstunde der Zusammenarbeit Edgar Wrights, Simon Peggs und Nick Frosts darstellte, die später gemeinsam (in) SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ und AT WORLD'S END (auftreten) produzieren würden. SPACED kommt uns jedesmal in den Sinn, wenn eine ahnungslose Person, die Fernsehen macht, etwas von zu niedrigen Budgets erzählt. Oder wenn jemand vom "deutschen BREAKING BAD" spricht. (Abgesehen davon, dass wir BREAKING BAD lieben fragen wir uns, warum nicht anstelle von BREAKING BAD mal SPACED genannt wird oder die perfekte low-Budget-Vorlage PARTY DOWN, oder die eigentlich-als-Vorbild-jeglicher-Familien-orientierten-Vorabendserie-zu-geltenden GILMORE GIRLS.)

SPACED zeigt, dass mit einem Ausnahmetalent, wie Edgar Wright und fähigen Comedians Erzählern, wie Simon Pegg und Jessica Hynes eine großartige Serie produziert werden kann, die sogar ästhetisch Maßstäbe setzt ohne jedoch besonders teuer zu sein. (Wright berichtet von den dadurch auch verursachten Anstrengungen der Serie in seinem Interview mit Marc Maron.) Was SPACED und "Mann/Frau" neben Qualität, Inhalten und Ästhetik verbindet ist nicht zuletzt der Freiraum, der von Channel 4 bzw. von Seiten des BRs gegeben wurde.

Das aller Wichtigste, was "Mann/Frau" zeigt ist, dass Talente, Erzähler und Künstler da sind, die gutes Fernsehen machen können. Man kann unserem Lieblingssender dem BR, den Geschwistern Buchholz und allen, die an diesem Meilenstein mitgewirkt haben hierfür nur danken und sie beglückwünschen. Wir hoffen, dass sie mit Angeboten überhäuft werden und dass noch viele weitere "Mann/Frau"-ähnliche Köstlichkeiten entstehen werden. <3 alles="" auf="" beeindruckt="" beh="" dass="" die="" dieses="" einfach="" entstehen="" erfahrungen="" erlebnisse="" font="" ganz="" geteilt="" hnliche="" ist="" jetzt="" k="" nbsp="" nnen.="" noch="" nschen="" projekts="" reflektiert="" sind="" so="" tet="" und="" uns="" w="" was="" werden="" wir="" zumindest="" zuschauerinnenseite="">