Als ich BUFFY THE VAMPIRE SLAYER mit Hilfe des wunderbaren oft verkannten Zufallsgenerators namens „lineares Fernsehen“ in der hundertsten
Pro7-Ausstrahlung zum ersten Mal sah, traf Buffy Summers in einer dunklen
Seitengasse irgendwo hinter dem Bronze auf Angel. Ein spektakulärer,
leicht trashig aussehender Kampf entwickelte sich und Buffy Summers
sah sich gezwungen an einem quer über der Straße hängenden Rohr
mehrere Riesenfelgen zu turnen. Eine gnadenlos aufgehübschte
Blondine, die lächerliche Turnübungen vollführt? Damals wusste ich
noch nicht, was Feminismus eigentlich bedeuten kann. Ich wusste nur,
dass Rory Gilmore und Claire Fisher die coolsten Serienheldinnen
waren und, dass mir Schminkzeug und Klamotten nicht so wichtig waren.
Diesem billigen Scheiß würde ich also definitiv nichts abgewinnen können: Hard Pass!
Ich
war allerdings in genau die Fallen getappt, die die Serie mehr oder weniger
bewusst auslegt. Eine leicht trashige Ästhetik, weit von den glossy
looks heutiger Prestige- und vermeintlicher Qualitätsserien entfernt. Und eine Hauptfigur, die
meinem 15-jährigen Willowmäßigem aber weniger intelligentem Selbst
total oberflächlich und langweilig erschien. Letzteres ist natürlich
genau das, was Joss Whedon, Showrunner, als Grundidee der Serie im
Sinn hatte: Eine junge Frau, die von außen als lediglich hübsches
Objekt möglicherweise sogar Opfer wahrgenommen wird, dem
angreifenden Vampir, Monster, Werwolf jedoch mächtig in die Eier
tritt, sobald er sich über sie hermacht.
So geht es einem auch, wenn
man diese großartigste aller Serien dann tatsächlich guckt. Sie reißt Dir das Herz raus, gibt Dir deine Seele zurück und
lässt Dich alle Emotionen des Erwachsenwerdens in einem
kathartischen Marathon durchleben. Ob es der eigene Freund ist, der sich
nach dem ersten Sex unwiderkennbar verändert, der neue Freund der
Mutter, der sich in die Familie einschleicht, sich später jedoch als
Android entpuppt; die Mitschülerin, die vor lauter Schüchternheit
unsichtbar wird, die Freundin mit besonderen Hexenkräften, die
süchtig wird nach zu viel Macht und dem Gefühl des Zauberns. Diese
Liste könnte komplettiert werden durch einen vollständigen
Episodenguide. Denn jede Folge der Serie erzählt im Kern von den
metaphorischen Dämonen und Herausforderungen des Erwachsenwerdens.
Was die Serie dabei so spannend macht sind die Fallhöhen, die von
Beginn an etabliert werden. Dem tiefen emotionalen Empfinden und der
archetypischen „Angst“ eines Teenagers entsprechend, geht es um nichts weniger als das Überleben. Buffys größte Bedrohung ist der Tod. Im größeren Kontext geht es für alle jedoch um das Überleben der High School, dann
der Uni und der Suche nach einem Job, Einkommen und einer erfüllenden
Existenz. Immer wieder droht der Tod. Oder, nachdem Buffy tatsächlich
gestorben ist und von ihren Freunden von den Toten wieder auferweckt
wurde, sogar Das Leben. In der Musicalfolge Once More With A Feeling
gibt Buffy preis, dass sie nicht -wie von ihren Freunden vermutet-
aus der Hölle sondern aus dem Himmel auf die Erde zurückgeholt
wurde, was ihre Existenz unglaublich schwer, schmerzhaft und
deprimierend macht. Wie treffend ist dieses Bild für ein Gefühl der
Schwermut und Überforderung, das fast jeder Erwachsene kennt?
Wie der Vampir
Spike, wahlweise mit und ohne Seele und Biss, zu Beginn Feind, dann
Verbündeter von Buffy und ihren Freunden, Buffy singend antwortet:
„Life's not a song, Life isn't bliss, life is just this, it's
living.“
Die Themen der Episoden und Staffeln ergeben sich in der
Serie stets aus den Handlungen, Ängsten, Fragen und Reaktionen der
Hauptfiguren, Xander, Willow, Giles (Buffys väterlicher Mentor, der
mit seinen eigenen „Growing Pains“ beschäftigt ist) und
Cordelia. Nicht aus einer oberflächlichen Lust an Monstern und
Mayhem. BTVS ist ein perfektes Beispiel für die Wichtigkeit
erzählerische Konsequenz. Entscheidungen, Taten, Plotpoints haben
rigoros Konsequenzen in diesem Universum. Das gehört zum erzählerischen Erfolgskonzept,
macht die Serie ungemein spannend und bestimmt die serialisierte
Struktur. In jeder Staffel gibt es einen Hauptbösewicht. Ähnlich,
wie bei Akte X gibt es trotzdem auch normale „Monster of the
week“-Folgen, aber die Serialisierung ist dichter und (vier Jahre
nach dem Start von Akte-X und Babylon 5) radikaler.
Oft sind es auch Konzepte und Ideen, die
einzelne BTVS-Folgen so einzigartig machen, wie die Halloween- oder die
Traumfolgen. Hush, eine Episode, in der alle Menschen in Sunnydale ihre
Stimme verlieren. Oder The Body, eine der besten Fernsehfolgen über
Trauer und Tod, die es gibt. Es gibt viele weitere Beispiele, die
jedem Fan der Serie sehr schnell in den Sinn kommen.
Die episodische
Stärke der Serie -bei aller serialisierten Kraft- kann sich jeder
Serienmacher heute zum Vorbild nehmen. Denn es ist ein
Missverständnis, dass horizontale Stärke ausreicht um qualitativ hochwertig zu erzählen. Aber auch in
diesem Punkt ist BTVS bis heute beeindruckend. Trotz der immer
abgeschlossenen Staffelblöcke und einiger qualitativen Einbrüche
gegen Ende der Serie,verfolgte sie ihre Protagonisten erfolgreich und
konsequent durch unterschiedliche Lebensabschnitte und existentielle
Erfahrungen.
Das Serienfinale ist dann tatsächlich die Kulminierung
der subversiven Grundkonzeption der Serie. Buffy gibt als
„Außerwählte“ ihre Kraft mit der Hilfe Willows an alle
potentiellen Slayerinnen auf der Welt weiter und zerstört damit das
von alten Männern hinterlassene Paradigma der alleinigen
Machtinhaberin. Die Montage, in der Buffy alle Mädchen und Frauen
dazu aufruft ihre Kräfte einzusetzen ist der dramatische
Schlüsselmoment der Serie und eine der einprägsamsten und
bedeutungsvollsten Seriensequenzen überhaupt.
Bei aller Relevanz, Konsequenz
und Metaphorik wäre die Serie jedoch nicht das, was sie ist, ohne
den Humor und genialen Witz in ihren Dialogen und die darin
begründete Subversivität. Beides ist pure Joss Whedon-Zutat und
-Stimme. Und es ist kein Zufall, dass Whedon,
bevor er anfing eigene Serien zu schreiben Autor für Roseanne war.
Für mich als Deutsche mit leichter Unterhaltungseinschränkung ist
das nur ein weiterer Hinweis darauf, dass tolle Autoren immer auch
im Comedy/Sitcom-Bereich zu suchen sind.